I. Entscheidung des Schweizer Nationalrats
Am 10. Dezember 2024 hat der Schweizer Nationalrat die Einführung einer Gefährdungshaftung samt Versicherungspflicht für Wagenhalter denkbar knapp mit 91 gegen 89 Stimmen (bei vier Enthaltungen) abgelehnt.
Gegen Gefährdungshaftung und Versicherungspflicht
für die Halter von Güterwagen wurde in der Sitzung des Nationalrats hauptsächlich vorgebracht, dass dies eine Insellösung der Schweiz in Europa bedeuten und den Eisenbahngüterverkehr verteuern würde. Eine internationale Vereinheitlichung der außervertraglichen Wagenhalterhaftung sei nur mit großen Schwierigkeiten zu erreichen. Im Übrigen würden ja die Halter von Reisezugwagen und von Lkw-Anhängern von einer solchen Regelung nicht erfasst, sondern weiterhin nur für Verschulden und ohne Versicherungspflicht haften. Das stehe im Widerspruch zu der für den Eisenbahngüterverkehr vorgeschlagenen Regelung.
Für Gefährdungshaftung und Versicherungspflicht
wurde ins Feld geführt, dass seit der großen Bahnreform Privatgüterwagen nicht mehr bei den Eisenbahnen eingestellt und von diesen unterhalten würden, sondern dass jetzt die Halter für den betriebssicheren Zustand und die Instandhaltung ihrer Wagen verantwortlich seien. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen stellten nur noch Lokomotive und Lokführer zur Verfügung, um Güterwagen zu ziehen. Bei Reisezugwagen und Lkw-Anhängern sei es anders: Reisezugwagen würden weiterhin überwiegend von den EVU gestellt und im Straßengüterverkehr könne der einzelne Lkw-Anhänger sehr wohl vom Fahrer des Lkw problemlos auf seine Betriebssicherheit hin untersucht und daher vom Halter des Lkw verantwortet werden. Was die Einführung einer Versicherungspflicht für Wagenhalter betreffe, so könne dies kostenneutral geschehen, weil einer Mehrbelastung der Wagenhalter eine Entlastung der Bahnunternehmen gegenüberstünde.
Der Nationalrat hat beides abgelehnt: die Einführung einer Gefährdungshaftung für Wagenhalter und die Einführung einer Versicherungspflicht für sie. Meine Haltung gegenüber einer Gefährdungshaftung für Wagenhalter habe ich in den drei vorangegangenen Kolumnen dargestellt.
Meine Überlegungen zur Einführung einer Versicherungspflicht für Wagenhalter will ich in dieser Kolumne vorstellen
(unter III). Vorher drängt es mich aber doch, ein Missverständnis der Befürworter einer Gefährdungshaftung des Wagenhalters aufzuzeigen:
II. Das EVU als bloßer Traktionär von Wagen?
Für eine Gefährdungshaftung der Wagenhalter wurde in der Debatte des Nationalrats ins Feld geführt, dass die EVU im Güterverkehr seit der Bahnreform nur noch Lokomotive und Lokführer stellten. – Aber wer ist denn dann für den gesamten Zug bestehend aus Lok und Wagen verantwortlich? Sind das etwa die verschiedenen Halter der Güterwagen in dem Zug? Kontrollieren die Halter den Zustand der Wagen, ehe der Zug abfährt?
In der EU-Sicherheitsrichtlinie 2016/798 heißt es: „
die Verantwortung für den sicheren Betrieb des Eisenbahnsystems ... und die Begrenzung der damit verbundenen Risiken (ist) den Infra-strukturbetreibern und den Eisenbahnunternehmen jeweils für ihren Teil des Systems (aufzuerlegen) ...
“ (Artikel 4). Und weiter heißt es in der Richtlinie: „
Unbeschadet der Verantwortung der Eisenbahnunternehmen und der Infrastrukturbetreiber für den sicheren Betrieb eines Zuges (!) ... stellt die für die Instandhaltung zuständige Stelle sicher, dass die Fahrzeuge, für deren Instandhaltung sie zuständig ist, in einem sicheren Betriebszustand sind.
“
Wenn ein EVU der Ansicht ist, es sei nur für Lok und Lokführer zuständig und verantwortlich, dann muss es ein weiteres EVU geben, das den Zug betreibt und ihn gegenüber dem Infrastrukturbetreiber und der Allgemeinheit verantwortet. Das nur die Lok und den Lokführer stellende EVU ist dann lediglich Dienstleister dieses umfassend verantwortlichen EVU.
III. Versicherungspflicht für Wagenhalter?
Der Nationalrat hat nicht getrennt über die Einführung von Gefährdungshaftung und Versicherungspflicht abgestimmt, sondern beides einheitlich abgelehnt.
Es lassen sich allerdings auch bei Ablehnung einer Gefährdungshaftung Gründe für die Einführung einer Versicherungspflicht für Wagenhalter anführen:
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Eine Haftpflichtversicherung soll nicht nur sicherstellen, dass Unfallopfer zuverlässig entschädigt werden, sondern sie dient auch dem Bilanzschutz der haftpflichtversicherten Unternehmen. Ohne Versicherung des Haftpflichtrisikos hat ein Unternehmen keine ...
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... Wenn in der Debatte des Schweizer Nationalrats argumentiert wurde, die Einführung einer Gefährdungshaftung mit Versicherungspflicht für Wagenhalter sei kostenneutral denkbar, so ist das also nicht völlig von der Hand zu weisen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein Versicherer jeden zugesagten Deckungsschutz mit finanzieller Kapazität zu unterlegen hat, was Kosten verursacht, und dass die Verwaltung von zusätzlichen Versicherungsverträgen ebenfalls mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.
Es bleibt daher dabei: Ob und in welcher Höhe zusätzliche Kosten bei Einführung einer Versicherungspflicht für Wagenhalter entstehen würden, hängt vor allem davon ab, in welchem Umfang Wagenhalter heute schon freiwillig haftpflichtversichert sind.
IV. Fazit
Über die Einführung einer Gefährdungshaftung und einer Versicherungspflicht für Wagenhalter kann getrennt und mit unterschiedlichem Ergebnis entschieden werden. ...
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