Das BAV hat kürzlich den
Sicherheitsbericht für den öffentlichen Verkehr und den Schienengüterverkehr 2023
veröffentlicht. Roland, was hast du als Sicherheitsverantwortlicher der BLS Cargo AG für deine Arbeit daraus mitgenommen?
Die Sicherheit im Schienengüterverkehr hat sich 2023 in der Schweiz in vielen Bereichen verbessert, auch wenn das Jahr vom schweren Unfall infolge eines Radscheibenbruchs im Gotthard-Basistunnel geprägt war. Dieser Unfall ist aber insofern symptomatisch, als dass wir bei der Sicherheit der Güterwagen und deren Ladung 2023 gegen den allgemeinen Trend eine Verschlechterung feststellen mussten.
Im Sicherheitsbericht des BAV war zu lesen, dass das BAV bei der Kontrolle von 7600 Güterwagen 852 Mängel festgestellt hat, 85 Prozent davon waren wagentechnische Mängel. Sind Güterwagen also ein potenzielles Sicherheitsrisiko auf der Schiene?
Das Befördern von Gütern im internationalen Kontext bringt gewisse Risiken mit sich – unabhängig davon, ob diese auf der Strasse oder auf der Schiene transportiert werden. Alle Player im internationalen Güterverkehr müssen ihre Risiken kennen und mit geeigneten Massnahmen unter Kontrolle halten. Sorgen bereitet mir in der Tat, dass wir in den letzten zwei Jahren eine Verschlechterung der technischen Qualität von Güterwagen und deren Ladung feststellen. Erlaube mir dennoch die Anmerkung, dass bei den Kontrollen des Strassenschwerverkehrs durch die Polizei in der Schweiz eine noch höhere Beanstandungsquote festgestellt wird als auf der Schiene.
Legt das BAV das technische Regelwerk sehr streng aus?
Soweit ich das beurteilen kann, ist dem nicht so. Die Fälle sind gut dokumentiert und es handelt sich in der Regel um klare Verstösse gegen den Fehlerkatalog des BAV. Klar, der Fehlerkatalog des BAV geht in einzelnen Punkten über den AVV-Fehlerkatalog hinaus, aber diese Ergänzungen sind durchaus berechtigt. Mit Bedauern stelle ich fest, dass diese sinnvollen Präzisierungen und Weiterentwicklungen trotz Initiativen seitens EVU bisher nicht in den AVV integriert werden konnten. Ich bin der Ansicht, wir sollten europaweit einen harmonisierten Fehlerkatalog anwenden.
Was müsste Deiner Meinung nach passieren, damit die Zahl der wagentechnischen Mängel sinkt?
Einfach gesagt, alle Beteiligten in der internationalen Transportkette müssen ihre Hausaufgaben erledigen. Dazu ist es notwendig, dass die Verantwortungen klar und sinnvoll definiert und die Anreize richtig gesetzt werden. Hier gibt es meines Erachtens mit Blick auf den AVV dringenden Handlungsbedarf. Der Wechsel zu einer Übernahme der ECM-Verantwortung im Sinne der einschlägigen EU-Verordnungen ist in meinen Augen noch nicht konsequent vollzogen.
Aus Sicht des BAV weist der AVV Regelungslücken auf und verwischt die Verantwortlichkeiten zwischen EVU und Halter/ECM . Sollten diese Mängel im AVV nicht behoben werden, kündigt das BAV ab 2026 eine strenge Überwachung der EVU auf Einhaltung der ECM-Durchführungsverordnung an, was - Zitat - "zwangsläufig zu einem Ausstieg aus dem AVV führen muss". Wie bewertet Ihr seitens BLS Cargo diese Drohung?
Ich kann die Ankündigung des BAV insofern nachvollziehen, als dass sich bei der Weiterentwicklung des AVV hin zu einem ECM-konformen Vertrag in den letzten Jahren zu wenig getan hat. Aufgrund dieser Entwicklung mache ich mir Sorgen um die Zukunft des AVV. Wenn wir die AVV-Reform nicht schaffen, riskieren wir, dass der Vertrag nicht mehr in allen Ländern angewendet werden kann. Dies würde die Abwicklung internationaler Verkehre massiv erschweren.
2026 ist schon bald, wie bereitet sich BLS Cargo auf den Fall vor, dass das BAV seine Androhung wahr macht?
Wir verfolgen mit Interesse, was sich auf internationaler Ebene im Spannungsfeld AVV-ECM tut – nicht zuletzt auch seitens der europäischen Eisenbahnagentur (ERA). Aktuell hege ich noch immer die Hoffnung, dass sich das Thema lösen lässt. Denn letztlich haben wir alle das gleiche Ziel: wir wollen einen sicheren und wettbewerbsfähigen Schienengüterverkehr. Sollte sich meine positive Grundhaltung nicht bestätigen, rege ich an, dass alle Schweizer EVU, die im AVV Mitglied sind, gemeinsam mit dem BAV und interessierten Wagenhaltern das weitere Vorgehen festlegen.
Ein Vorschlag für eine AVV-Änderung von SBB Cargo International hat in der AVV-Community für Aufregung gesorgt. Laut dem Vorschlag soll die Haftung für Laufflächenschäden neu beim Halter liegen, das EVU soll für diese Schäden nur noch bei offensichtlichen Fehlern im Eisenbahnbetrieb haften. Was hältst Du von diesem Vorschlag?
Diesen Vorschlag unterstütze ich klar. Denn wir beobachten, dass bei Laufflächenschäden oft kein Verschulden des EVU erkennbar ist. Trotzdem liegt die Haftung nach einem erfolgreichen Bremstest unter Laborbedingungen beim EVU. Mir geht es auch hier darum, dass wir die Anreize richtig setzen. Ein Wagenhalter hat im aktuell geltenden AVV-Regime nur ungenügende Anreize, durch den Einsatz qualitativ besserer Bremssohlen oder Bremsventile die Wahrscheinlichkeit von Festbremsern und daraus folgenden Laufflächenschäden zu verringern. Auch ein hochstehender präventiver Unterhalt wird durch die in meinen Augen falsche Zuordnung der Haftung nicht gefördert. Im Gegenteil! Ein nachlässiger Unterhalt wird heute teilweise durch unterwegs erfolgte Schadensbehebung organisiert durch das EVU abgefedert – zum Preis von Sicherheitsrisiken.
Wenn dieser Vorschlag absehbar keine Dreiviertelmehrheit im Wagenhalterlager findet, wird er nicht in den Vertrag aufgenommen. Wie kann / sollte das Thema dann weiter behandelt werden?
Ich hoffe sehr, dass auch die Wagenhalter einsehen, dass sich der AVV weiterentwickeln muss und dass dieser Vorschlag ein Schritt in die richtige Richtung ist. Für mich ist dieser Änderungsvorschlag die Probe aufs Exempel, ob sich der AVV im Sinne der ECM-Regulierung weiter entwickeln lässt. Sollte das Anliegen abgeschmettert werden, fürchte ich, dass sich die negative Haltung des BAV und anderer nationaler Sicherheitsbehörden gegenüber dem AVV noch weiter akzentuiert – mit den entsprechenden Risiken für die Zukunft des in vielen Teilen auch guten Vertragswerks.
Wenn Du einen Wunsch frei hättest, um die Sicherheit im Schienengüterverkehr zu fördern - welcher Wunsch wäre das?
Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, die Verantwortung im internationalen Güterverkehr in allen Bereichen weise zuzuteilen und die Anreize zur Erhöhung der Sicherheit richtig zu setzen. Dies ist die beste Voraussetzung, damit alle Beteiligten in der internationalen Transportkette ihre Aufgaben im Risikomanagement wahrnehmen, was im Endeffekt die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Schienengüterverkehrs fördern wird.