Burkhard, zunächst eine persönliche Frage: Wie bist Du zum Leiter der UIC-Arbeitsgruppe für die Anlagen 10 und 7 AVV geworden?
Übernommen habe ich die Leitung der Arbeitsgruppe im Herbst 2016. Damals war ich bereits mehrere Jahre in dieser Arbeitsgruppe, wie auch in anderen europäischen Arbeitsgruppen aktiv. Bei DB Cargo habe ich zu der Zeit die Zusammenarbeit mit den Landesgesellschaften koordiniert und war für die ECM 2-Zertifizierung verantwortlich.
Wie muss man sich eine solche UIC-Arbeitsgruppe vorstellen? Wird in den Sitzungen wirklich gearbeitet oder wird nur abgenickt, was jemand vorher zu Papier gebracht hat?
Im Vorfeld der Treffen werden Ideen und Änderungsbedarfe gesammelt. Freiwillige bereiten erste Entwürfe von Änderungsvorschlägen vor. Diese werden dann in den Arbeitsgruppensitzungen vertieft und diskutiert. Besonders wichtig ist, dass bereits bei der Erarbeitung die Sprachfassungen synchronisiert werden. Gerade im Französischen gibt es hier aufgrund regionaler Unterschiede immer wieder großen Diskussionsbedarf. Eine wichtige Rolle spielt hier der Sprachendienst der UIC, der auch die Fachtermini rund um den Güterwagen bestens beherrscht.
Normalerweise werden am AVV nur Details geändert, bei Anlage 10 habt Ihr Euch aber große Änderungen vorgenommen. Anfang 2023 bekam Eure Anlage einen neuen Titel und Ihr stellt die Inhalte neu in Arbeitsmodulen dar. Was ist der Hintergrund?
Tatsächlich kann man sagen, dass unsere Anlage 10 AVV nach vielen Jahren selbst reif für eine „Revision“ war. Eine Revision im technischen Sinne ist dabei immer mehr als nur das Ausbessern von kaputten Teilen; nach einer Revision soll ein Fahrzeug wieder fit für die nächsten Jahre gemacht werden. Und genau eine solche Revision haben wir mit der Anlage 10 AVV durchgeführt.
Bleiben wir mal beim Bild von der „Revision“ des Regelwerks; was war den „kaputt“ und musste ersetzt werden?
Also - ich möchte dem Eindruck entgegentreten, dass in der Anlage 10 etwas kaputt im Sinne von falsch war. Alle Passagen der Anlage 10, die sich mit der Behandlung von beschädigten AVV-Wagen befassen, waren auch im Jahr 2022 noch richtig und aktuell. Es gab jedoch einen Abschnitt, der nicht mehr aktuell war und den wir gestrichen haben, und zwar den Abschnitt über die „präventive Instandhaltung“. Die Überschrift dazu stammte noch aus der Zeit vor dem AVV, als die Staatsbahnen umfassend für die Instandhaltung aller Güterwagen verantwortlich waren. Inzwischen hat aber das europäische Eisenbahnrecht in mehreren Verordnungen die Rolle der „Entity in Charge of Maintenance - ECM“ definiert. Und genau diese ECM ist nun für die Sicherheit ihrer Eisenbahnfahrzeuge verantwortlich. Angesichts dieses geänderten rechtlichen Umfelds passte die Passage zur präventiven Instandhaltung einfach nicht mehr in den AVV.
Verstanden - und danach passte der alte Titel „Korrektive und präventive Instandhaltung“ nicht mehr für Anlage 10. Als neuen Titel habt Ihr definiert: „Mindestzustand und Massnahmen zur Wiederherstellung der Lauffähigkeit von Güterwagen“ - Warum genau ist das jetzt besser?
Hier gilt das, was ich über den Charakter einer Revision gesagt habe, es geht immer auch darum, etwas für die Zukunft fit zu machen, aktuelle Anforderungen zu erfüllen. Und die europäischen Regelungen zur Sicherheitsverantwortung von ECM sind eine solche aktuelle Anforderung. Deshalb war es konsequent, alle Hinweise auf die vorbeugende Instandhaltung zu streichen - sowohl im Titel als auch im Text. Der neue Titel, okay, er ist etwas länger als der alte, sagt aber ganz genau, was der Anhang 10 regelt. Es geht nicht um irgendwelche Reparaturen, sondern ausschließlich um die (Wieder-)Herstellung der Lauffähigkeit von Güterwagen. Dies war de facto schon vorher der Fall, kam aber im alten Titel nicht zum Ausdruck.
Und was genau steckt hinter der Idee die Vorschriften der Anlage 10 neu in Arbeitsmodulen darzustellen?
Bisher hat die Anlage 10 nur Verbote und Gebote aufgelistet, die häufig die Vorgaben der Anlage 9 wiederholt haben. Es gab also wenig konkrete Vorgaben zur Wiederherstellung der Lauffähigkeit von Güterwagen. Die neuen Module beschreiben genau die dafür erforderlichen Schritte und geben so allen Beteiligten mehr Transparenz über die durchzuführenden bzw. durchgeführten Maßnahmen. So werden klar für jeden Schadcode mit Aussetzen die Folgemaßnahmen definiert. Das bringt mehr Qualität in den Prozess.
Für den AVV Vertrag 2024 habt ihr schon 19 Arbeitsmodule auf den Weg gebracht - insider ahnen - da kommt noch mehr. Wieviele Module sollen in Anlage 10 denn noch entstehen?
Wir haben in der Arbeitsgruppe derzeit (Dezember 2023) 25 weitere Module identifiziert, die wir für die nächsten Vertragsversionen vorschlagen werden. Die Ausarbeitung der Arbeitsmodule ist allerdings sehr aufwändig - hier haben wir dieses Jahr noch viel Arbeit vor uns. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei den Vertretern der UIP und der ERFA bedanken, die sich an dieser aufwändigen Arbeit beteiligen. Schließlich ist es für alle Beteiligten eine ehrenamtliche Aufgabe und die letzten Monate waren für alle sehr anspruchsvoll. Es ist aber absehbar, dass sich die Arbeitsbelastung ab Sommer 2024 wieder normalisieren wird.
Burkhard - viel Erfolg bei den anstehenden Arbeiten und vielen Dank für dieses Interview!