Thomas, wie kommt es, dass Du mit Deinem Startup RailAppSolutions Angebote für den Datenaustausch zwischen AVV-Parteien machst?
Seit vielen Jahren unterstütze ich den internationalen Verband der Güterwagenhalter UIP in den Themen des Datenaustauschs. Seit über zehn Jahren betreue ich die
RSRD² Datenbank
, die im Sektor für viele ein Begriff ist. Hierüber bin ich schon früh zum GCU Broker gekommen. Ich habe das Potenzial gesehen, den manuellen Datenaustausch auf einfachem Weg erheblich zu beschleunigen und qualitativ zu verbessern. Gleichzeitig war mir klar, dass insbesondere kleinere und mittelgroße Güterbahnen Probleme haben werden, die Daten in der gewünschten digitalen Form über Schnittstellen bereitzustellen. So entstand die Idee vom WDRflyer, unserer Schadensmelde-App.
Machst Du das eigentlich hauptberuflich?
Ich bin ja selbständig, arbeite also selbst und ständig… (lacht). Sechs Jahre hatte ich bei DB Cargo gearbeitet und bin seitdem für die Wagenhalter beratend aktiv. Ich glaube, die Herausforderungen von beiden Seiten zu kennen, also von den AVV-Bahnen und AVV-Haltern, ist sehr hilfreich in meinem Job. Ich teile mir die Aufgaben zwischen RailAppSolutions und Projekten wie RSRD² sehr flexibel auf. Das ist der Vorteil der Freiberuflichkeit.
Markus Vaerst hatte zuletzt an dieser Stelle über die schleppende Umsetzung des GCU Brokers in der Praxis berichtet. Ihr bietet hierfür den AVV-Bahnen einen Service an; welches Problem der Bahnen löst dieser Service; wie geht das in der Praxis?
Unsere App WDRflyer vereinfacht und digitalisiert die Schadensmeldung, welche die AVV-Bahnen den AVV-Haltern senden müssen. Das WDR steht übrigens nicht für "Westdeutscher Rundfunk", sondern für das Schadenprotokoll auf Englisch, also
Wagon Damage Report
. Dank unseres Service-Produkts muss der Wagenmeister nicht wie bisher ein Formblatt am PC ausfüllen und dieses per Email oder Fax (ja, das gibt es tatsächlich noch häufig) versenden, sondern macht alles auf seinem Handy. Dabei kann er die Wagennummer abfotografieren, den Bahnhof über GPS ermitteln und auf den gesamten AVV Schadenkatalog in der App zugreifen. Auch Fotos vom Schaden können unkompliziert hinzugefügt werden. Die Meldungen gehen dann unmittelbar über den GCU Broker im XML-Format an den Halter. So spart man viel Zeit und Geld.
Wenn man Dir zuhört, klingt das sehr einfach. Gleichwohl nehmen die Bahnen Eure App nur sehr zögerlich an. Seid Ihr zu teuer?
Das ist eine gute Frage. Wir haben ein gestaffeltes Preissystem, das sich nach der Anzahl der versendeten Meldungen richtet. Ab 100 € im Monat ist man dabei. Ich denke daher, dass der Preis nicht der Hauptgrund sein kann. Die Gründe sind vielfältiger. Was ich in Gesprächen immer wieder höre, ist eine Skepsis der Schadenmanager der Bahnen gegenüber den eigenen Wagenmeistern oder Dienstleistern, die Meldungen vor dem Versand noch einmal prüfen zu wollen. Diese zusätzliche Qualitätskontrolle verlangsamt den Datenaustausch in der Regel erheblich, insbesondere an Wochenenden. Unseres Erachtens sollte das Qualitätsproblem eher durch Schulungen gelöst werden.
Ein zweiter Punkt sind eigene IT-Strategien der AVV-Bahnen, die eine integrierte Gesamtlösung zum Ziel haben, also die berühmte „eierlegende Wollmilchsau“. Da wartet eine Bahn lieber noch 2-3 Jahre und arbeitet weiter mit PDFs und E-Mails, anstelle unser App als Zwischenlösung einzusetzen. Ein dritter Punkt sind die eigenen, individuellen Prozesse. Wir bieten eine Standardlösung an. Wenn diese nicht zu den aktuell gelebten Prozessen der AVV-Bahn passt, wünschen die Bahnen oft eine Individualsoftware, statt erst einmal den bestehenden Prozess kritisch zu hinterfragen. Das sind die wesentlichen Gründe, die ich sehe, warum unser Sektor in Sachen Digitalisierung nur so langsam vorankommt. Die Wagenmeister, die unsere App verwenden, sind übrigens fast ausnahmslos begeistert.
Änderungen werden ja gerne erst mal abgelehnt - gerade in Deutschland und gerade im Bahnsektor ist das so. Normalerweise kommt man aber mit der Ablehnung nicht weit, wenn es einen Zwang von außen gibt, der zur Änderung zwingt - warum ist das beim Datenaustausch zwischen AVV Parteien Deiner Meinung nach nicht so?
Der AVV ist ein privater Vertrag mit Rechten und Pflichten, dem jede Vertragspartei aktiv zugestimmt hat. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass die AVV-Parteien nur ihre Rechte wahrnehmen wollen. Interessanterweise haben viele Bahnen sehr schnell nach Einführung des GCU Brokers die Abfrage der Wagenstammdaten über den Broker implementiert. Auf die digitale Übermittlung der Schadensmeldungen wartet man aber nach wie vor. Ich denke, man hat beim Aufsetzen des AVV-Vertrags vergessen, Sanktionsmechanismen für die Verletzung von Pflichten einzuführen. So könnte man zum Beispiel die Abfrage der Wagendaten für eine AVV-Bahn so lange sperren, bis diese Schadensmeldungen digital über den GCU Broker sendet.
Wie soll es denn jetzt weitergehen - Deine Prognose für 2024?
Die Digitalisierung wird sich durchsetzen. Davon bin ich überzeugt. Vor zehn Jahren haben nicht wenige über die RSRD² Datenbank gelächelt. Heute ist sie ein wichtiger Bestandteil des Sektors. Gleiches wird mit dem GCU Broker passieren und ich hoffe natürlich, dass es uns als RailAppSolutions genauso geht: unsere Apps sind unersetzlich für Wagenmeister! (lacht).
Thomas - vielen Dank für dieses Gespräch!