Von der einheitlichen Eisenbahn zur Trennung von Infrastrukturbetrieb und Verkehrsabwicklung
„Ach, wie war es doch vordem für die Eisenbahn bequem ...“, das möchte man in Anlehnung an den preußischen Maler, Dichter und Erfinder August Kopesch (erste Hälfte des 19. Jahrhunderts) und in Abwandlung seines Gedichts über die dienstbaren Kölner Heinzelmännchen
ausrufen, wenn man die heutige Lage der Eisenbahn anschaut: „Vordem“ war die
Eisenbahn eine Einheit
: Betrieb des Netzes und Fahren von Zügen auf dem Netz lagen in einer Hand. Die damaligen Staatsbahnen hatten eigene (Bahn-)Wagen – und bahnfremde Privatwagen waren in den Wagenpark einer Eisenbahn einzustellen. Die Eisenbahnen wussten mit diesen Wagen umzugehen, da sie ja auch über eigene Wagen und Werkstätten verfügten. Die Halter dieser Wagen beschränkten sich im Grunde auf die Zurverfügungstellung der Wagen und ersparten insoweit den Eisenbahnen die Anschaffung eigener Wagen. Im übrigen war die Zahl der Eisenbahnen überschaubar und als staatliche Einrichtungen waren sie in der Lage, ihre Regelwerke für Betrieb und Instandhaltung selbst aufzustellen und deren Einhaltung zu überwachen.
Die Folge der Liberalisierung: Arbeitsteilung, Schnittstellen, Kooperationsprobleme
Heute ist die Lage der Eisenbahn sehr viel komplizierter: Die Liberalisierung des Eisenbahnsektors gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat zur rechtlichen Trennung von Infrastrukturbetrieb und Verkehrsabwicklung auf der Infrastruktur geführt – kurz „Trennung von Rad und Schiene“ genannt und von manchem beklagt. Hunderte von Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) verkehren inzwischen auf den Schienennetzen der Infrastrukturbetreiber. Das hat dazu geführt, dass inzwischen immer häufiger nicht nur die verwendeten Wagen, sondern auch die eingesetzten Triebfahrzeuge nicht den Eisenbahnen, sondern Vermietgesellschaften gehören. Wegen des zunehmenden Verzichts auf den Einsatz eigener Wagen und Lokomotiven sind auch viele bahneigene Ausbesserungswerke aufgegeben worden und bei den Bahnen wird nicht mehr das volle Know-how für die Instandhaltung vorgehalten. Die Instandhaltungsvorschriften für Fahrzeuge sind dagegen immer komplizierter geworden und im europäischen Eisenbahnrecht wurde im Anschluss an schwere Unfälle die „für die Instandhaltung zuständige Stelle (ECM)“ mit eigenen Rechten und Pflichten geschaffen. Ein EVU oder Fahrzeughalter kann selbst ECM für seine Fahrzeuge sein, muss es aber nicht. Ein EVU, das nicht auch ECM ist, droht weitere Kenntnisse über die Instandhaltung von Fahrzeugen zu verlieren.
Am Ende dieser Entwicklung stehen inzwischen einzelne EVU, die überhaupt keine eigenen Fahrzeuge, insbesondere keine eigenen Güterwagen, mehr betreiben, sondern nur noch fremde Fahrzeuge in ihren Zügen verwenden. Sie wollen daher auch kein Instandhaltungs-Know-how mehr für fremde Fahrzeuge vorhalten, sondern sich am liebsten darauf beschränken, mit gemieteten Lokomotiven fremde Güterwagen nur noch zu ziehen. Fallen beim Betrieb der Wagen Unregelmäßigkeiten auf, möge sich der Halter bzw. seine ECM um deren Behebung kümmern.
Als
Zwischenergebnis
lässt sich festhalten: Die Liberalisierung hat den Wettbewerb zwischen EVU eingeführt und den Kunden der Eisenbahn manchen Vorteil gebracht. Sie hat das Eisenbahngeschehen aber auch kleinteiliger, unübersichtlicher und komplexer gemacht.
Vermehrte Arbeitsteilung
schafft neue Schnittstellen, Kooperations- und Kommunikationsprobleme bis hin zum Streit der beteiligten Akteure, wer für was zuständig und verantwortlich ist, wer welche Kosten tragen soll und wer im Schadensfall zu haften hat. – Und damit sind wir bei
Rechtsfragen
angelangt.
Rechtliche Beurteilung der Entwicklung der Praxis auf dem Eisenbahnsektor
Die
rechtliche Trennung
von Infrastrukturbetrieb und Verkehrsabwicklung sowie die Einführung der besonderen ECM sind
gesetzlich vorgegeben
. Daran anschließende Entwicklungen bei der Arbeitsteilung zwischen den Akteuren – wie etwa der Verzicht mancher EVU auf die Vorhaltung eigener Lokomotiven, Wagen und Werkstätten – sind eher tatsächlicher Natur und das
Ergebnis unternehmerischer Entscheidungen
. Es ist angebracht, diese Entscheidungen einmal rechtlich zu beleuchten.
Unstrittig
ist, dass
EVU nicht Eigentümer der Fahrzeuge
sein müssen, die sie in ihren Zügen verwenden. Schon vor der Liberalisierung hat es ja zahlreiche Privatgüterwagen gegeben. Heute gilt das auch für Lokomotiven, die von Lokvermietgesellschaften zur Verfügung gestellt werden – häufig sogar einschließlich des Lokführers. Es gibt keine Rechtsvorschriften, die die EVU verpflichten, nur eigene Fahrzeuge und eigenes Personal einzusetzen.
Es gibt auch keine Rechtsvorschriften, die die EVU verpflichten, die von ihnen verwendeten Fahrzeuge selbst instandzuhalten oder durch von ihnen beauftragte ECM instandhalten zu lassen.
Verantwortung der einzelnen Akteure
Aber die
EU-Sicherheitsrichtlinie 2016/798
enthält in ihren Artikeln 4 und 14 Rechtsvorschriften, die die Verantwortung der einzelnen Akteure des Eisenbahnsektors für bestimmte Tätigkeitsbereiche festlegen:
-
Die
Infrastrukturbetreiber
und die
Eisenbahnunternehmen
tragen – jeweils für ihren Teil des Systems – die
Verantwortung für den sicheren Betrieb des Eisenbahnsystems
und die Begrenzung der damit verbundenen Risiken.
-
Unbeschadet der Verantwortung der EVU und der IB für den sicheren Betrieb eines Zuges stellt die
ECM
sicher, dass die ihr anvertrauten Fahrzeuge in einem
sicheren Betriebszustand
sind.
Aus diesen beiden Vorschriften ergibt sich eine klare Aufteilung der Verantwortung: Ein EVU ist verantwortlich für den sicheren Betrieb seines Zuges, die jeweilige ECM ist verantwortlich für den sicheren Betriebszustand der in einem Zug befindlichen Fahrzeuge. Und die Verantwortung des EVU besteht unabhängig davon, wem die Fahrzeuge in seinem Zug gehören und wessen Personal es einsetzt.
Den genannten Vorschriften ist auch unmissverständlich zu entnehmen, dass die
Verantwortung des EVU
den
Zug als Ganzes
betrifft, nicht nur einzelne Fahrzeuge darin, wie etwa nur die Lokomotive:
Betriebseinheit des EVU
ist der
Zug
, nicht ein einzelnes Fahrzeug.
Schon an dieser Stelle ergibt sich: Eine “
Trennung von Lok und Wagen
“ in Bezug auf unterschiedliche Verantwortliche für den fahrenden Zug ist
unzulässig
. Die Verantwortung des EVU für seinen Zug ist unteilbar und nicht übertragbar. Und zur Wahrnehmung dieser Verantwortung hat das EVU auch das erforderliche technische Know-how vorzuhalten.
Diese aus der EU-Sicherheitsrichtlinie gewonnene Erkenntnis hat
Konsequenzen
:
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Fazit:
Im Interesse eines
flüssigen Eisenbahnbetriebs
ist es ratsam, dass EVU weiterhin einfache Abhilfemaßnahmen an Wagen im Zug kurzerhand selbst durchführen oder durchführen lassen und das dafür notwendige Know-how weiterhin vorhalten. Ratsam ist es auch, dass EVU es übernehmen, im Auftrag des Fuhrpark-Instandhaltungsmanagers einem von einer Werkstatt zurückkommenden Wagen die Wiederinbetriebnahme zu bescheinigen: Das EVU sieht den Wagen vor sich und kann seinen Zustand unmittelbar beurteilen; der Fuhrpark-Instandhaltungsmanager ist fern.
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